Inklusives Klettern wirkt!

Klettern wirkt! Das wissen wir aus 10 Jahren inklusivem Klettern in 14 Klettergruppen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit und ohne Behinderung. Wir arbeiten kontinuierlich daran, unsere Wirkung zu überprüfen und zu verbessern. Deshalb führen wir Evaluationen durch.

Aktuell werden im Rahmen eines zweisemestrigen Lehrforschungsprojekts Studierende der Soziologie unter Anleitung von Dr. Yvonne Berger das inklusive Kletterangebot von „Ich will da rauf!“ evaluieren. Im Mittelpunkt stehen das Inklusionspotenzial und die nachhaltigen sozialen Wirkungen des Angebots für die Beteiligten. Das Lehrforschungsprojekt findet im Sommersemester 2018 und Wintersemester 2018/19 am Institut für Soziologie (Lehrbereich Prof. Dr. Hella von Unger) im Rahmen der qualitativen Methodenausbildung im Masterstudiengang statt. Die Ergebnisse der Evaluation erwarten wir im März 2019.

Am 12.09.14 wurden wir in Berlin von der damaligen Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele für die vorbildliche Arbeit mit dem Wirkt-Siegel von PHINEO ausgezeichnet. Der Verein „Ich will da rauf!“ steht für Inklusion durch ein gemeinsames Hobby: Klettern.

Das gesellschaftliche Problem

Menschen mit und ohne Behinderung wachsen in verschiedenen Lebenswelten auf und haben wenig Begegnungsmöglichkeiten im Alltag. Es entstehen Berührungsängste und Vorurteile auf beiden Seiten. Menschen mit Behinderung leben in einer Parallelwelt aus Sondereinrichtungen (Sonderschulen, Behindertenwerkstätten, etc.). Ihr Lebensweg ist oft vor- bzw. fremdbestimmt und bietet wenige eigene Entscheidungsmöglichkeiten. Immer mehr Menschen mit Behinderung wollen ein selbstbestimmtes Leben führen, eigene Entscheidungen treffen und wie alle anderen an allen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben können. Seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch Deutschland im Jahr 2009 rückt der Begriff Inklusion immer mehr in den Fokus der Gesellschaft. Es gibt keine verbindliche Definition von Inklusion und die Entwicklungen in Deutschland gehen in verschiedene Richtungen. Oft vergessen werden dabei die zentralen Schlüsselbegriffe der UN-BRK wie Chancengleichheit, Vielfalt, Nichtdiskriminierung, Selbst-und Mitbestimmung und Barrierefreiheit.

Für uns bedeutet der Begriff Inklusion, dass Menschen mit Behinderung von Anfang überall teilhaben können. Es gibt nur noch eine Welt, in der Menschen mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich zusammen leben.

Ein gesellschaftlicher Bereich, von dem Menschen mit Behinderung teilweise immer noch ausgeschlossen werden, ist der Freizeitbereich. Das Angebot hier ist immer noch begrenzt und auch der Sport Klettern gehört zu diesen beschränkten Möglichkeiten. Viele Kletterhallen sind immer noch nicht barrierefrei (nicht nur baulich) oder es fehlen passende Angebote, damit Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam klettern können.

Klettern ist ein Sport, den so ziemlich alle Menschen ausüben können und zwar gemeinsam. Jeder hat sein eigenes Tempo und macht individuelle Fortschritte in der Gruppe. Deshalb bietet Klettern so viel Potential bei der Inklusion. Das erleben wir auf öffentlichen Veranstaltungen, bei denen wir Klettern an einem mobilen Kletterturm anbieten. Die Kletterer kommen aus vielen verschiedenen Ländern, aber alle wollen klettern. Klettern verbindet!

Input IWDR München

  • Interdisziplinäres Team in der Geschäftsstelle und 2 ehrenamtliche Vorstände.
  • 21 Ehrenamtliche in den Klettergruppen
  • 12 Klettertrainer_innen
  • Klettermaterial: Seile, Sicherungsgeräte (Grigri, Click-Up), Klettergurte in 3 Größen, Komplettgurte, Kindergurte, Kletterschuhe von Größen 32 bis 48, Spielmaterial (Memory, etc.), Kletterhelme, Alpinseile
  • Erfahrungen und Know-How aus 10 Jahren inklusivem Klettern

Output

  • 14 inklusive Klettergruppen für Menschen mit und ohne Behinderung – unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion oder sexueller Orientierung.
  • Zusatzangebote für gelebte Inklusion: Kletterausflüge; Klettertermine in den Ferien
  • Schaffung eines aktiven Vereinslebens, an dem alle teilhaben können, z. B. barrierefreie Vereinsfeste.
  • 100 Kletterer nehmen an 20 Terminen pro Jahr an den Klettergruppen, Kletterausflügen, Ferienklettern und anderen Aktivitäten teil.

Outcomes

Neues Wissen/Fertigkeiten: die Kletterer kennen die Kletterregeln und erzielen individuelle Fortschritte beim Klettern. In den Gruppen erlernen sie soziale/kulturelle Kompetenzen.

Veränderungen im Handeln: Gegenseitige Vorurteile werden abgebaut und Freundschaften zwischen Menschen mit und ohne Behinderung entstehen. Behinderung gehört zur Normalität. Hilfsbereitschaft und ein gemeinschaftliches Miteinander sind selbstverständlich. Barrieren werden abgebaut. Der Verein bringt aktive Inklusionsbotschafter hervor, die auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen hineinwirken.

Lebenslage der erreichten Personen: Kletterer mit Behinderung fühlen sich akzeptiert und wertgeschätzt. Sie erhalten Selbstvertrauen und ein gesteigertes Selbstwertgefühl. Sie profitieren körperlich und geistig von den therapeutischen Effekten des Kletterns. Die Lebensqualität im Alltag hat sich verbessert. Sie haben Kontakte zu anderen Kletterern über die Klettergruppen hinaus. Sie üben aktiv ihr Recht auf Selbstbestimmung aus.

Impact

Wir zeigen: Inklusion funktioniert und alle profitieren von einem gemeinschaftlichen Miteinander.

Durch unsere Anwesenheit in der Kletterhalle und unsere Öffentlichkeitsarbeit können wir Veränderungen in der Öffentlichkeit vor Ort bewirken. Alle Menschen sollen unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion oder sexueller Orientierung selbstverständlich in die Gesellschaft inkludiert und wertgeschätzt werden. Sie nehmen selbstbestimmt an allen gesellschaftlichen Bereichen teil und werden dabei soweit nötig unterstützt.

Menschen ohne Behinderung erkennen, dass Menschen mit Behinderung mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten die Gesellschaft bereichern. Das erreichen wir in unseren Klettergruppen bei den Teilnehmer_innen und durch unsere Klettergruppen, indem wir zeigen, dass gemeinsames Klettern möglich ist und Spaß macht.

Unsere Erfahrungen aus 10 Jahren inklusivem Klettern

Gemeinschaft: Durch die Regelmäßigkeit der Klettergruppen entsteht Gemeinschaft und Freundschaft. Menschen machen zusammen Fortschritte – in der Gruppe, aber auch persönliche. Man stellt sich neuen Herausforderungen und wächst zusammen. Ebenso motiviert man sich gegenseitig zu neuen Leistungen.

Begegnung auf Augenhöhe: In den Klettergruppen begegnen sich die Kletterer auf Augenhöhe. Sie verfolgen alle das gleiche Ziel. Die Behinderung spielt hier keine Rolle und jeder wird akzeptiert, wie er ist.

Vertrauen: Beim Klettern muss man sowohl dem Sichernden am Boden als auch dem Material (Seil, Gurt) vertrauen. Diese Erfahrung kostet manchmal Überwindung. Klettern geht nur gemeinsam.

Freundschaft: Manche unserer Kletterer haben Freundschaft geschlossen und treffen sich auch außerhalb der Klettergruppen.

Herausforderung: Manche Behinderungen sind eine Herausforderung für die Klettergruppen. Wie kommuniziert man mit einem autistischen Menschen, der die gängigen verbalen Seilkommandos nicht wahrnimmt? Wir stellen uns jeder neuen Herausforderung und freuen uns auf viele neue. Wir probieren mit jedem/r das Klettern aus – egal, welche Behinderung er oder sie hat. Begrenzt wird diese Bereitschaft nur durch die Anzahl der vorhandenen freien Plätze in den Gruppen. Das Klettern selbst ist eine herausfordernde Sportart. Jeder Kletterer setzt sich neue Ziele und macht individuelle Fortschritte. Und das in guter Gesellschaft mit Gleichgesinnten.

Neue Möglichkeiten: Einige unserer Kletterer haben die Erfahrung gemacht, dass beim Klettern viel mehr möglich ist als im normalen Alltag. Sie haben ganz eigene individuelle Kletter-Techniken entwickelt. Beispielsweise stützt sich eine unserer Kletterinnen mit dem Kopf an der Wand zur Stabilisierung ab. Ohne diese Technik würde es sie aus der Wand herausdrehen und sie würde nicht weiter nach oben kommen. Oder Beine werden mithilfe einer Schlinge mit einer Hand auf den Tritt gesetzt. Der Erfindungsreichtum unserer Kletterer kennt keine Grenzen.

Normalität: Viele Kletterer berichten, dass die Behinderung nicht mehr im Vordergrund steht beim Klettern. Was zählt ist das gemeinsame Erlebnis, die Freude am Klettern und an den eigenen Fortschritten. Dies ist eine willkommene Ablenkung vom Alltag, der stets durch die Behinderung bestimmt wird.

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